Lange bevor die Buchdruckerkunst erfunden wurde, saßen Schreibmeister und Mönche in ihren Zellen und schufen jene geschriebenen und illuminierten kostbaren Folianten, die noch heute stolzer, bewunderter Besitz der Bibliotheken und einiger bevorzugter Bibliophilen sind. Die ersten Buchdrucker, die auf der Arbeit und Tradition dieser Schreibmeister aufbauten, erschienen mit ihren ersten köstlichen Drucken auf dem Plan, und die Billigkeit des Druckes war das Todesurteil des geschriebenen Buches.
Das gute geschriebene Buch - in seiner Einmaligkeit ein Leckerbissen für jeden Bibliophilen - hat jedoch außer seinem einmaligen Vorhandensein Werte und Reize künstlerischer Natur, die kein noch so guter Druck bieten kann: ein intimes Eingehen auf letzte Feinheiten des Wortes, eine völlige Unabhängigkeit von Farbenzahl und Reproduktionsmöglichkeit. Nichts war daher natürlicher, als daß moderne Schriftkünstler an die alte begrabene Tradition anzuknüpfen versuchten und bereits manches gute Stück zutage förderten. So blieb es dann auch nicht aus, daß ebenfalls Verleger diesen neuen Weg betraten, diese Werke mit den modernen Mitteln der Reproduktionstechnik vervielfältigen und auf diese Weise versuchten den Reiz und die Qualitäten der geschriebenen Schrift mit dem Druck zusammenzukoppeln und zu verbilligen. Da uns heute die Tradition und das selbstverständliche Können der Alten noch fehlt, sind neben manchem Guten Dinge in die Welt gesetzt worden, die mehr als zweifelhaft sind.
Die Verwirrung ist groß, es gilt klarzustellen, welche Ziele geschriebene Bücher haben können und sollen:
I. Grundsatz: Handgeschriebene Bücher haben nur Daseinsberechtigung, wenn es dem Schreibkünstler geling, den Geist der Dichtung durch seine Schrift reiner und voller zum Ausdruck zu bringen, als es durch eine gesetzte Type möglich wäre. Daraus folgt, daß nicht jeder gute Schreiber jeden Text schreiben kann, und daß der Verleger das Thema nicht erledigt hat, wenn er irgendeinem guten Schreiber einfach den Auftrag erteilt, das und das Buch für ihn zu schreiben.
II. Grundsatz: Bücher sind da, gelesen zu werden, also darf die Schrift nicht so verschnörkelt sein, daß sie unleserlich wird.
III. Grundsatz: Geschriebene Schrift erfordert bestmögliche Reproduktion. Gehen die Feinheiten im Druck verloren, so ist jedes gesetzte Buch besser.
Im heutigen Deutschland gibt es zwei Schriftkünstler, die unumstritten dastehen: Rudolf Koch, der Gründer der Gruppe der Offenbacher Schreiber, ein ausgesprochenes Fraktur-Talent, und Anna Simons, eine ebenso stark ausgesprochene Antiqua-Natur. Kochs "Rudolfinische Drucke" (Gerstung-Offenbach a. Main) sind wohl das Beste, was im neueren Deutschland an geschriebenen Büchern erschienen ist. Wieynks "Ovid Amores" (Marée-Gesellschaft) virtuos, leider zu virtuos geschrieben, hat schon wieder die ganze Glätte, Regelmäßigkeit und Härte gesetzter Schriften. Die "Palatino-Bücher" (Karl Schnabel-Berlin) von Tzschichhold geschrieben, befriedigen wenig, da sie mit hohem Preis und großer Aufmachung einen geschriebenen Inhalt verbinden, der noch unreif und nicht selbstverständlich gekonnt wirkt. Die Schrift macht den Eindruck talentierter Anfängerleistung, sodaß zu hoffen ist, daß uns hier ein Schreibkünstler von Qualität erwächst. Die neueste Erscheinung sind die "Skriptor-Drucke" des Drei-Masken-Verlages, außerordentlich billig, aber leider auch drucktechnisch nicht sonderlich gut, weil auf recht ungeeignetem Papier. "Rokoko-Liebesgedichte" und ein "Dante", beide in einer italienischen Renaissance-Kursiv, ausgezeichnet geschrieben von Anna Simons. Diese Schrift, für den Dante eine Tugend, ist bei dem Rokoko-Band ein Mangel. Gibt es denn etwa keine Rokoko-Kursiv? Ohne die schwachen Ornamentkringel wäre dieses Büchelchen besser gewesen. Recht gut im Gesamteindruck ist das "Trostbüchlein" von H. Jost, das am reinsten den Eindruck des geschriebenen Buches wahrt. "Liebesgedichte" geschrieben von I. von Schnellenbühel sind glatter Dilettantismus, und "Die Seele des Weins" von Heigenmoser jenseits von Gut und Böse. Der Band "Mutter" von E. R. Vogenauer steht nicht sehr glücklich zwischen Illustration und Geschriebenem, ein Schritt auf einem Wege, der nicht sehr aussichtsreich ist. Alles in Allem: ein Beginnen und Versuchen, ein Anfang - und sicher ein hoffnungsvoller. Außer den Besprochenen harrt manches junge Schrifttalent im Verborgenen, ohne bisher die Möglichkeit der Betätigung in der Öffentlichkeit gefunden zu haben. Aufgaben sind da, die Kräfte zu ihrer Durchführung ebenfalls. Es kann sich also nur darum handeln, daß die richtigen Besteller sich mit den richtigen Schreibern zusammenfinden.
Lucian Zabel
Aus: Der Feuerreiter. 1.1922. Heft 3. S. 136f
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