19.07.2025

Nun eine Atempause, doppelt nötig bei der Siedehitze dieser Hochsommertage, die mehr nach kühler Mehresbriese und raffinierten Eisgetränken begehren lassen als nach … ja: als nach den schönsten Büchern. Und dann zu August Kuhn. Das ist nicht der Dr. August Kuhn, der umsichtig und verständnisvoll die Seemannsche „Kunstchronik“ leitet und dem Herausgeber des „Sammlerkabinett“ soviel Kopfschmerzen bereitet, weil er immer, als Wochenblatt, soviel fixer über alles berichten kann, sondern das ist der Verleger. Der Bilderhandschriften-Kuhn. Oder wie er sich jetzt infolge ständiger Verwechslungen eben nennt: A. Kuhn-Foelix. Der wird nämlich nicht müde, eine kostbare Bilderhandschrift nach der anderen herauszubringen, und wenngleich es wirklich zu weit führen würde, hier ausführlicher darauf einzugehen, ob im Zeitalter der Technik, ohne diese etwa in Mißbrauch zu überschätzen, die mühevolle und umständliche und zeitraubende Herstellung solcher Bilderhandschriften Sinn hat oder nicht, so sei doch nicht verhehlt, daß u. E. diese Rückkehr zur Primitivität, die bei den alten Meistern der illuminierten Handschriften Naturgesetz war, für die Weiterentwicklung der Buchkultur keinen Fortschritt, eher Rückschritt und Gefahr bedeutet. Weshalb denn früher die handschriftliche Vervielfältigung von Büchern? Weil der Buchdruck mit beweglichen Lettern noch nicht erfunden war. Warum Bilderhandschriften? Weil die Mönche in der künstlerischen Ausstattung biblischer oder sakraler Werke eine Art Gottesdienst sahen, auch den einzelnen Mönch der Ruhm lockte, seinem Kloster die schönste Handschrift zu übereignen. Diese Einstzeiten hatten ja auch kein … Tempo, und schon das Tempo unserer Zeit ist dagegen, daß sich da jemand hinsetzt, mühsam Buchstaben auf Pergament malt und Bilder dazu … so wie ein allem Irdischen bewußt abgewandter und entrückter Mönch in stiller Klosterzelle. Aber dieser August Kuhn ist nun einmal darauf versessen, sieht darin eine Lebensaufgabe, und ob es nun bibliophiler Snobismus ist, der nach einem Buche giert, das nur in einzigem Stück existiert, oder der künstlerische Enthusiasmus irgendeines Mäzens – er findet Abnehmer. Im Moment ist er bei seiner 7. Bilderhandschrift angelangt, den „Seligpreisungen“, die ein junger, noch unbekannter, aber anscheinend sehr talentvoller Künstler, Hans Orlowski, für ihn geschrieben und gemalt hat. Das kostbar in naturfarbiges Schweinsleder mit Bändern und grünem Seidenspiegel gebundene Buch besteht aus neun Textseiten und acht Bildern. Textschrift und Bild sind im Format wie auch im Stil sehr harmonisch aufgestimmt, und wenn die Art, die Welt hier sozusagen unter dem Elendsspiegel zu sehen, die Bilder, die in Gouachemanier auf Pergament gemalt sind, auch recht problematisch macht, das Ganze wirkt doch sehr dekorativ und spricht für ein außerordentlich starkes Farben- und Formgefühl. Allerdings erleichtern ja die Seligpreisungen, die meist ganz kurze Sprüche sind, dem Schriftkünstler die Aufgabe, das Textproblem seitenweise zu meistern. Nur kann man als eingefleischter Bibliophile natürlich nicht einsehen, warum dieser Text absolut geschrieben, warum das ganze Buch nur einmal existieren soll. Ähnliches empfindet man der 6. Bilderhandschrift gegenüber, der Geschichte von „Kain und Abel“, die Doris Homann geschrieben, Franz Heckendorf mit fünf Textbildern geschmückt hat. Nur ist hier doch dazu der Gesamteindruck ein bedeutend unruhigerer, weil zwischen den bizarren Textseiten der Schriftkünstlerin und den grellfarbigen Aquarellen Heckendorfs gar keine stilistische Harmonie mehr besteht – so wundervoll die Bilder Heckendorfs im einzelnen sind und vielleicht auch zusammen in Mappe wirken würden. Und gerade weil der Text vielfach überhaupt nicht zu lesen ist, die Buchstaben sich in ihrer eigenen Verschnörkelung totlaufen oder verfangen – wozu der Text? Warum nicht die Bilder allein, die in Mappe ein sehr repräsentatives Kunstwerk darstellen würden? Aber es mußte ja eine Bilderhandschrift werden, auf edelstem weißen Kalbspergament und von Maetzke feierlich in Schweinsleder gebunden…

Und da will uns fast scheinen, als ob Kuhn, bei allem selbstlosen Idealismus, den so eine Sache erfordert, doch vor seiner eigenen Courage ein wenig Bange bekäme. Wie anders wäre es zu erklären, daß er (reumütig?) zu Büchern, richtigen gedruckten Büchern, zurückkehrt? oder richtiger: sich richtig gedruckten Büchern zuwendet? Und da kann man wohl sagen, daß ihm das Johannes-Evangelium, ein stattlicher Folioband in Pergament, sehr gut geraten ist. In den Text, der in den Werkstätten der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Charlottenburg unter Leitung von Edmund Schaefer in dem Doppelmittelgrad der altertümlichen schweren Maximilian-Fraktur gedruckt ist, hat Rudolf Koch 24 vielfarbige, ganz freie Initialen eingemalt, und auch die 10 großen, fast ganzseitigen Holzschnitte von Franz Heckendorf sind mit der Hand von diesem ausgemalt. Diese Holzschnitte sind übrigens das Schönste und Vollendetste, was uns seit langem an Buchillustrationen dieser Art vor Augen gekommen (und wir haben erst unlängst doch die Holzschnitte von Josef Weiß in der Engelschen „Offenbarung des Johannes“ sehr gerühmt!), bei aller äußeren Freiheit von stärkster innerer Gebundenheit, tiefdurchdachte Bildschöpfungen, die die heilige Geschichte ganz ins Mythische heben und wie glühende Kirchenfenster wirken, durch die man ins Traumreich der Seele blickt. Sie sind zu Bild, zu Farbe gewordene Ekstatik, die brünstigen Gebete eines tief Gläubigen. Wie sehr ist doch Lechter dagegen Tradition und Kunstgewerbe! So ist dieses Buch einzigartig, obgleich es nicht Unikum ist, sondern die Auflage 20 numerierte Exemplare beträgt, einzigartig deshalb, weil es trotz der „hohen“ Auflage die Eigenart Kochs und Heckendorfs in jeder Seite wahrt. Und stellte man den Schreiber dieser Zeilen vor die Wahl: er ließe alle Bilderhandschriften liegen und griffe nach diesem Buche – nur dürfte es dann nicht den handbemalten Pergamenteinband haben, der in seiner ätherischen Zartheit weder zu der schweren Koch-Letter noch zu den mystisch durchgluteten Holzschnittenb Heckendorfs paßt.

Aus: Das Sammlerkabinett. Jg. 2, 1923/24, Heft 3, S. 27/28 (Bibliophile Chronik)

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