14.09.2025

Vom Schreiben

Die Offenbacher Schreiber

Die Kunst des Schreibens ist heute noch einem großen Teil der Kunstfreunde, ja selbst manchen Künstlern eine fernliegende, der Vergangenheit angehörige, unserer Zeit nicht mehr gemäße Fähigkeit. In den Tagen unserer Großväter war die Schreibkunst noch eine allgemein geübte. Der Schreibunterricht, von Anfang an mit großer Ernsthaftigkeit betrieben, umfaßte in den höheren Klassen schwungvolle Zierschriften, die ein hohes Schönheitsgefühl zu befriedigen imstande waren. Eine freie, sichere Führung der selbstgeschnittenen Feder war unerläßlicher Bestandteil einer guten Bildung, und wenn die Kinder ihren Eltern handschriftliche Paradestücke schenkten, oder wenn ein junges Mädchen ein schönes Gedicht mit zierlicher Handschrift in ein Poesiealbum eintrug, so übte sie damit eine edle und schöne Kunst aus.

Durch die verhängnisvolle Vernachlässigung der sinnlichen Kultur in unseren höheren Schulen, die unverzeihliche Unterschätzung des Turn-, Sing-, Schreib- und Zeichenunterrichts ist natürlich auch die Handschrift in Verfall geraten und wir haben darin einen Zustand der Verwilderung erreicht, der durch das Aufkommen der Schreibmaschine noch verstärkt worden ist.

Pflege der Handschrift

Inzwischen hat sich nun in einem engeren Kreise, ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit, eine Wiedergeburt dieser Schreibkunst vollzogen. Etwa seit der Jahrhundertwende geht in Deutschland die Gestaltung neuer Formgedanken vor sich, unsere ganze Werkkunst ist einem Jungbrunnen entstiegen, und die Schulen, die heute an Stelle der Werkstätten den Nachwuchs zu erziehen berufen sind, haben sofort und mit Nachdruck die Schrift zum Mittel und zum Gegenstand des Unterrichts gemacht. So zeigt sich in Deutschland nun an vielen Orten eine junge, lebendige Schreibkunst.

Die Handschrift hat neben dem Schriftsatz durchaus ihr eigenes Gesetz. Ihr Wert ist der des Einzelstückes. Ihre Form ist elastischer, Rücksichten sind nur notwendig, soweit sie die Sache selbst verlangt, die Schriftart und Größe jederzeit veränderbar, die Ausschmückung ohne jede Grenze möglich. Der rechte Schreiber braucht kein Bild. Die Schrift kann so stark Ausdruck werden, daß gegenständliche Darstellung eine Abschwächung wäre. Edle Schrift allein gibt einem geschriebenen Buche eine große, stille Einfalt und stellt dem Dichter nichts in den Weg. (1920)
(Bis hier teilweiser Wiederabdruck aus: Archiv für Buchgewerbe und Graphik. 57.1920)

Werkleute der Schrift

Die Arbeitenden sprechen: Wir Deutsche können Formen erleben und haben das Bedürfnis, Formen zu erleben.

Irgendwo muß bei uns eine lebhaftere, ursprünglichere Beziehung zwischen tieferes Gefühl, eine stärkere Kraft, eine größere Ehrlichkeit sein. Wir sind Schriftzeichner, Stempel- und Holzschneider, Schriftsetzer, Drucker und Buchbinder aus Überzeugung und aus Leidenschaft, nicht etwa weil unsere Begabung zu dürftig wäre für andere Dinge, sondern weil für uns die höchsten Dinge in engster Beziehung dazu stehen.

In der still zurückhaltenden, edel durchgebildeten, aufs tiefste in jeder Bewegung erfüllten Schriftform suchen wir uns und unser Zeitgefühl auszudrücken. Die stolze und doch geschmeidige Linie eines lateinischen Großbuchstabens, die bürgerlich behäbige Sicherheit und Kraft einer Frakturform, die seinen Maßverhältnisse einer zierlichen Brotschrift drücken alles aus, was wir auszudrücken vermögen. In diesen kleinen Abmessungen, diesen äußerlich so schlichten Voraussetzungen wirkt sich ein reiches, unermeßliches Leben und Formen, Bewegungen, Gegensätzen und Verhältnissen aus, das unergründlich und unerschöpfbar ist. - Wir wollen reich sein in der Beschränkung, die keine erzwungene, sondern eine freiwillige ist.

Wir sind auch nichts einer ohne den andern, wir sind keine Einzelmenschen, sondern eine Gesamtheit, eine Gemeinschaft. Der Zeichner zeichnet nur, um vermöge der größeren Freiheit seiner Hand und der breiteren Formenkenntnis dem Stempelschneider einer Werkstattzeichnung, eine Vorlage zu geben, er fühlt die Arbeit des Stichels voraus und bereitet ihr den Weg, seine Zeichnung ist, für sich betrachtet, ein unsinniges und wertloses Gestammel, sie zielt allein auf den Schnitt ab. Der Gedanke des Erfinders wird erst Wirklichkeit in der Hand des Stempelschneiders. Der wiederum erlebt beim Schnitt die ganze Freiheit des entwerfenden Zeichners, die Notwendigkeit und verborgene Gesetzmäßigkeit im ganzen Aufbau und in jeder Einzelheit. Sein Werkzeug und seine feste, sichere Hand geben jeder Form, jeder Bewegung erst ihren eigentlichen Sinn.

Einwendungen des Gießers und des Setzers, die beide an der Arbeit teilnehmen, werden in Betracht gezogen, und ist sie fertig, so durchdringt der Setzer die Schrift nach allen Richtungen ihrer Brauchbarkeit, er fühlt die feinsten Unterschiede der verschiedenen Grade und macht sie für seinen Satz nutzbar. Wie er bei der ganzen Arbeit der ständige Berater und Förderer ist, so ersteht in seiner Hand erst die Schrift zu allen ihren Schönheiten und Wirkungen. - Wir wären auch nicht zufrieden, wenn wir uns nur ausdrücken dürften in seltenen Handschriften und kostbaren Drucken, es genügt uns nicht, wenn ein paar Liebhaber und Freunde der Künste ihre Lust haben an unseren Werken, wir wollen in die Weite und die Breite dringen; unsere kleinen, gegossenen Buchstaben reden auf dem geringsten Zettel unsere Sprache, in Millionen und Milliarden von Abdrücken werden die Spuren unserer Arbeit in die fernsten Winkel unseres Vaterlandes und über die weiten Meere getragen.

Wir sind Handwerker und haben dem Tage zu dienen und unmittelbare Bedürfnisse zu befriedigen. Das Geräusch der Gießmaschinen und der Druckerpressen reißt uns in jeder Minute aus weltentlegenen Träumen in den lebendigen Arbeitstag. Und weil wir unsere Arbeit lieben, darum haben wir auch den Glauben, daß uns die Zukunft wird gelten lassen, trotz der Geringfügigkeit der Dinge, die wir hervorbringen. (1921)
Aus: Wille und Macht. 5.1937. Heft 21. S. 39

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