Reichert wurde am 8. Juni 1883 in Offenbach geboren und ist dort am 25. August 1956 verstorben. Im Jahre 1906 lernte er den bekannten Schriftkünstler Rudolf Koch kennen. 1912 gab er die väterliche Likörfabrik auf um sich der Kunst zu widmen. Er begann ein Studium an der Kunstgewerbeschule in Offenbach. Ab 1915 war er freischaffender Künstler. Von 1921 bis 1949 hatte er einen Lehrauftrag für Schrift an der TH Darmstadt. Er zählt zu den Offenbacher Schreibern. Sein Nachlass befindet sich am Klingspor-Museum. Auch er nahm mit einer Vielzahl von Exponaten an der wichtigen Ausstellung für Rudolf Larisch 1926 in Wien teil.
"Eine ganze Reihe von Schriftkünstler bildete sich an und um Rudolf Koch, die sog. "Offenbacher Schreiber": Hans Bohn, der u. a. für Hans von Weber den siebenten Dreiangeldruck (Wilh. Hauff: "Der Mann im Mond") illustriert hat, Hans Schreiber, Otto Reichert u. a. Von Otto Reichert möchte ich zwei mit der Hand geschriebene, m. W. nur in einem einzigen Exemplar vorhandene Büchlein erwähnen:
Joh. Wolfg. von Goethe: "Mailied" 16 S. Geschrieben im Mai 1915. 8°.
Gottfried Keller: "Hoffnung." Gedichte. 6 S. Geschrieben 1917. 8°."
Julius Rodenberg. Deutsche Pressen. Eine Bibliographie. 1925. S. 124
Siehe auch hier.
o. J. - Roquette. Waldmeisters Brautfahrt,
o. J. - Schefer. Geh fleißig um mit deinen Kindern.
o. J. - Mörike. Gedichte.
o. J. - Kneist. Für die Sonne.
o. J. - Kneist. Wie ich mich sehne.
o. J. - Eichendorff. Stilles Glück.
o. J. - Goethe. Die Wahlverwandtschaften.
o. J. - Aus dem Buche Hiob.
1915 - Schlachtgesang
1915 - Goethe. Mailied.
1917 - Keller. Hoffnung.
1918 - Goethe. Lied des Türmers.
1919 - Goethe. Die Geschwister.
1919 - Goethe. Des Künstlers Vergötterung.
1922 - Eichendorff. Auf meines Kindes Tod. OR 264.
1929 - Zech. Morgenweihe.
1929 - Vesper. Auf der Höhe. OR 395.
1929 - Vesper. Stillfroher Tag. OR 397.
1932 - Einer trage des Andern Last. OR 439.
Schriftkunst und Dichtung
Das gesprochene Wort verlangt nach einer bildlichen Form, die das Flüchtige der Laute bannt und ihren Sinn andern Menschen und Zeiten übermittelt. Wie die Musik dem Wort tiefere Schwingungen abringt, so soll die Schrift das Kleid sein, das seinen Klang umhüllt und ihn dem Auge kenntlich macht. Wenn heute die Kunst der Alten, schön zu schreiben, wieder lebendig geworden ist, so ist dies nicht mehr, um als Bildverständigungsmittel zu dienen, sondern um irgend etwas Besonderes aus dem Alltäglichen des Gedruckten herauszuheben, ihm neue Bedeutung, neuen Persönlichkeitswert zu geben.
Die Schrift hat ihre eigene Seele, die zu uns reden möchte. Wer sie erklingen lassen will, muß Sinn haben für die Musik, die in den Buchstaben liegen kann, im Spiel der Linien und Formen. Erst dies wird ihn über das rein Handwerkliche hinausbringen, über das mechanische Aneinanderreihen von Buchstaben, heute in der, morgen in jener Schrift. Was die Handschrift zum Kunstwerk erhebt, ist das schöpferische Gestalten, das die Buchstaben dem Gedankeninhalt des Textes anpaßt und diesen dadurch in Schrift übersetzt.
Der Musiker, der ein Gedicht zum Lied vertont, läßt schon die Töne reden, malt mit der Klangfarbe, mit Tonfolgen, mit Dur und Moll und läßt den Rhythmus so wirken, daß schon daraus auf die Stimmung der Dichtung zu schließen ist, auch wenn die Worte noch nicht gesungen werden. So sollte aus dem Schriftbild der Sinn einer Dichtung zu fühlen sein, noch ehe man die Worte las. Es muß also ein Gestalten aus dem Geist der Dichtung heraus werden, und so gelingt es auch nur dem, der Dichtung zu erleben vermag, der die Musik zarter Lyrik, die Wucht harter Verse, eines alten Kriegsliedes in sich wiederklingen lassen kann. Ihm gehen beim bedächtigen Schreiben immer neue Schönheiten der Gedanken und des Wortklangs eines Dichterwerkes auf. Sie alle auch dem Beschauer näher zu bringen ist die vornehmste Aufgabe des Buchschreibers. Daß er sie erfüllt, halte ich aber - im Gegensatz zu manchen andern Schreibern - nur dann für möglich, wenn er mehr gibt, als bloßes Abschreiben. (Bildschmuck kann die Gesamtwirkung einer Handschrift wohl heben, aber fehlende Ausgestaltung der Schrift nicht ersetzen. Schrift und Schmuck und Einband müssen unter sich und mit dem Inhalt des Textes zusammengehen und ein Ganzes sein, wie sich auch die Farben der Stimmung der Dichtung einfügen müssen.)
Menschen, die keinen Sinn für Dichtung haben, oder denen sich die Schönheiten einer Schrift noch nicht offenbarten - und es gibt manche Leute dabei, die sonst in Kunstdingen ein reifes Urteil haben! - verstehen auch ein handgeschriebenes Buch nicht; sie blättern ratlos darin, und wissen auch nicht den persönlichen Wert zu schätzen, den es für den Besitzer hat. Der bekam es vielleicht als Gabe aus lieber Hand, weil ein besonderes Erinnern sich gerade mit diesem Gedicht verknüpft, oder er ließ sich als Freund guter Literatur das ihm Liebste schreiben, um es in stillen Feierstunden andächtig zu genießen. -
Die wenigen Kunstfreunde, die das neue Sondergebiet der Buchkunst bisher richtig erkannten, betonen immer wieder das Persönliche und Innige und Lebendigbleibende des geschriebenen Buches. Und die Freude, die ihnen aus dem köstlichen Besitz erblüht, hilft von selbst dazu, daß sich ihr Kreis ständig erweitert.
In: Deutsche Kunst und Dekoration. XXII. Jahrgang 1920. Heft 7-8 (April/Mai). S. 192f












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