19.07.2025

Offenbacher Schreiber

   Die Kunst des Schreibens ist heute noch einem großen Teil der Kunstfreunde, ja selbst manchen Künstlern eine fernliegende, der Vergangenheit angehörige, unserer Zeit nicht mehr gemäße Fähigkeit. In den Tagen unserer Großväter war die Schreibkunst noch eine allgemein geübte. Der Schreibunterricht, von Anfang an mit großer Ernsthaftigkeit betrieben, umfaßte in den höheren Klassen schwungvolle Zierschriften, die ein hohes Schönheitsgefühl zu befriedigen imstande waren. Eine freie, sichere Führung der selbstgeschnittenen Feder war unerläßlicher Bestandteil einer guten Bildung, und wenn die Kinder ihren Eltern handschriftliche Paradestücke schenkten, oder wenn ein junges Mädchen ein schönes Gedicht mit zierlicher Handschrift in ein Poesiealbum eintrug, so übte sie damit eine edle und schöne Kunst aus.

   Durch die verhängnisvolle Vernachlässigung der sinnlichen Kultur in unseren höheren Schulen, die unverzeihliche Unterschätzung des Turn-, Sing-, Schreib- und Zeichenunterrichts ist natürlich auch die Handschrift in Verfall geraten und wir haben darin einen Zustand der Verwilderung erreicht, der durch das Aufkommen der Schreibmaschine noch verstärkt worden ist.

   Inzwischen hat sich nun in einem engeren Kreise, ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit, eine Wiedergeburt dieser Schreibkunst vollzogen. Etwa seit der Jahrhundertwende geht in Deutschland die Gestaltung neuer Formgedanken vor sich, unsere ganze Werkkunst ist einem Jungbrunnen entstiegen, und die Schulen, die heute an Stelle der Werkstätten den Nachwuchs zu erziehen berufen sind, haben sofort und mit Nachdruck die Schrift zum Mittel und zum Gegenstand des Unterrichts gemacht. So zeigt sich in Deutschland nun an vielen Orten eine junge, lebendige Schreibkunst.

   Die Offenbacher Kunstgewerbeschule hat, dem heimischen Gewerbe entsprechend, sehr bald diesen Unterrichtsgegenstand in den Vordergrund gestellt, und so kommt es, daß ein großer Teil der künstlerischen Kräfte, die der Anstalt entwachsen sind, in der Schrift und ihrer vielfachen Anwendung ihr hauptsächliches Ausdrucksmittel gefunden haben.

   Die Handschrift hat neben dem Schriftsatz durchaus ihr eigenes Gesetz. Ihr Wert ist der des Einzelstückes. Ihre Form ist elastischer, Rücksichten sind nur notwendig, soweit sie die Sache selbst verlangt, die Schriftart und Größe jederzeit veränderbar, die Ausschmückung ohne jede Grenze möglich.

   Der rechte Schreiber braucht kein Bild. Die Schrift kann so stark Ausdruck werden, daß gegenständliche Darstellung eine Abschwächung wäre. Edle Schrift allein gibt einem geschriebenen Buche eine große, stille Einfalt und stellt dem Dichter nichts in den Weg.

   Aber auch die Bilderhandschrift hat ihr Recht. Das mit der Schrift vereinigte Bild steht in seiner Umgebung unverrückbar fest, es steht zwischen den großen Massen der schwarzen Schrift auf weißem Grunde und hat dadurch einen Rahmen, der die höchste Farbigkeit erlaubt, ja geradezu fordert. Eine Buchmalerei, die erst heute wieder möglich ist, wo man Bücher wieder schreiben kann, unterscheidet sich vom Tafelbild ebenso wie die Monumentalmalerei, sie gleicht dieser in vieler Hinsicht.

   Der Buchmaler dient dem Buche und das gibt ihm sein festes Gesetz und sicheren Halt, wie dem Monumentalmaler die Unterordnung unter den Baumeister zum Segen gereicht.

   Wenn heute die Aufgaben großer Wandbilder selten sind, warum soll sie der Maler nicht mit der Buchmalerei trösten? Sie ist so edel wie jene und zu Zeiten hochgeschätzt gewesen. Es wäre sehr wohl zu denken, daß ein guter Schreiber sich in den Dienst dieser Buchmalerei stellte und mit einem guten Maler zusammen Bilderhandschriften schüfe, die nur auf dem Weg solcher Zusammenarbeit zustande kommen können.

   Der Schreiber ist ein Diener. Sein Herr ist der Dichter oder die Dichtung. Er hat seinem Text zu einer schönen, klaren, sinngemäßen Form zu verhelfen. Ist diese Unterordnung eine erzwungene, von außen kommende, so ist er Handwerker, wird sie aus dem Drang des Herzens eine freiwillige, so ist er Künstler.
Rudolf Koch

   "Wir entnehmen den Text des vorstehenden Aufsatzes von Rudolf Koch einem Propagandaheftchen der Offenbacher Schreiber. Gegenwärtig werden Arbeiten der Offenbacher Schreiber in Deutschland gezeigt. Im Laufe des Juni findet die Ausstellung im Deutschen Buchgewerbehaus zu Leipzig statt."
Aus: Archiv für Buchgewerbe und Graphik. 57.1920. S. 92f.
Teilweise Wiederabdruck zum Tode Kochs in: Wille und Macht. 5.1937. S. 39

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