Handgeschriebene Bücher. (Kleine Mitteilungen)
Es ist im Grunde genommen seltsam, daß das handgeschriebene Buch in unsern Tagen einer vorgeschrittenen Drucktechnik wieder einer gewissen Vorliebe zu begegnen scheint. Ich spreche dabei nicht von den geschriebenen Büchern unserer Schriftkünstler, deren kalligraphische Schönheiten dem Leser erst durch ein Umdruckverfahren übermittelt werden, sondern von Werken in Originalhandschrift, also von Texten, wie beispielsweise Grete Ratschitzky und Rudolf Koch sie für die köstlichen Evangelienbilder Willy Jaeckels schrieben, die Martin Breslauer in seinem neuesten Katalog anzeigt. Das sind Begleittexte, und der Versuch, ihren künstlerischen Duktus dem bildnerischen Schmuck anzugliedern, kann nur als außerordentlich gelungen bezeichnet werden. In den rein schriftmäßigen Werken sind solche Anpassungsmöglichkeiten natürlich ausgeschlossen, und da kann man sich denn nicht verhehlen, daß unsere heutigen Schriftkünstler bei allem Fleiß und aller Fähigkeit sich noch nicht immer von der mittelalterlichen Tradition freimachen können, die auf ganz anderen Grundbedingungen fußte als die Kunst unserer Zeit.
Daß trotzdem das handgeschriebene Buch sich einen überraschend großen Freundeskreis schaffen konnte, mag in der tiefeingewurzelten Bevorzugung des Handwerklichen vor dem Maschinellen liegen, des Originals vor der Reproduktion. Man geht dabei auch von der durchaus richtigen Voraussetzung aus, daß hier das Buch zunächst als Kunstwerk an sich in Frage kommt und nicht als eine, der Drucktechnik mehr oder minder nachgeahmte geschriebene Mitteilung des Inhalts. Denn wäre das letztere der Fall, so würde ein Druck zweifellos bessere Dienste leisten. Er liest sich bequemer und fließender als die herrlichste kalligraphische Arbeit, und zwar schon deshalb, weil unser Auge an den Druck gewöhnt und in gewisser Weise durch ihn verdorben ist. Das ist meines Erachtens auch der Fehler vieler unserer neueren Schriftkünstler: daß die Textvermittlung ihnen als Hauptsache gilt und sie sich deshalb bemühen, Schriftzeichen in Anlehnung an die mittelalterlichen Manuskripte zu ersinnen und an die Typen der Frühdrucke, die sich aus ihnen entwickelten. Es läßt sich gewiß nicht leugnen, daß man dabei auf zuweilen sehr schöne neue Formen gekommen ist, immer aber hängt man in merkwürdiger Traditionswut an dem Vorbild des Überlieferten, an der Geschlossenheit des Schriftblocks, der Gradlinigkeit der Zeilen und vor allem der sogenannten leichten Lesbarkeit.
Und das scheint mir der grundlegende Irrtum zu sein. Das geschriebene Buch von heute kann und soll nie den Druck ersetzen. Es steht sogar im bewußten Gegensatz zum Druckwerk, weil der Text für den Schriftmaler nur der Vorwand ist für die künstlerische Ausgestaltung des Schriftzeichens und des Satzbildes. Handschrift schlankweg strebt nach Deutlichkeit, die Schönschreibekunst nach Wirkung in ästhetischem Sinne. Und da steht keineswegs in erster Linie die flotte Lesbarkeit als notwendige Bedingung. Diese Notwendigkeit ergibt sich beim Druck durch die Gewöhnung des Auges; das gemalte Schriftbild zwingt das Auge aus der Gewöhnung heraus zu einem Eindringen in die künstlerische Ausführung, die gewiß nicht auf Kosten des Textsinns gehen soll, sich in der Betonung des Formalen aber von der Schablone freimachen will. Ich stimme in dieser Beziehung mit einem feinsinnigen Beurteiler überein, der mir kürzlich ein paar Handschriften eines sehr eigenartigen jungen Talents vorlegte. Der Drucker ist naturgemäß immer im Nachteil dem Schriftkünstler gegenüber. Wo der Drucker sich mit kümmerlichen Behelfen der Interpunktion, des Sperr- und Fettdrucks oder allenfalls durch Einschiebung einer anderen Type und durch Initialschmuck Ausdruck zu schaffen sucht, da stehen dem Schreibkünstler die unerschöpften Mittel der Graphik und Malerei zur Verfügung, um den Charakter eines Satzes, die Kraft, Weichheit oder Härte eines Worts herauszuarbeiten. Er kann das Bild einer Seite komponieren wie ein Gemälde, er kann den Block sprengen, Worte und Zeilen biegen, steigen oder fallen, ihr Format wachsen oder sich verengen lassen, wie sein künstlerisches Gefühl es ihm eingibt und vor allem: wie er glaubt, dem textlichen Inhalt am besten gerecht zu werden - wie er glaubt, unter Ausnutzung aller gegebenen Möglichkeiten eine vollendete organische Einheit von Inhalt und Form herstellen zu können.
Daß es dabei notwendig ist, auch die Schrift als malerisches Problem zu betrachten, beweisen die handgeschriebenen Bücher von Doris Homann, die von der Malerei kam. Ich gestehe, daß der hier vollzogene Bruch mit allen Traditionen zunächst verblüffend wirkt. Verblüffend, weil man etwas ganz Neuem gegenübersteht - in der Tat einer neuen Kunst. Aber wenn man die Werke aufmerksam durchsieht und Blatt für Blatt betrachtet, verstärkt sich unwillkürlich das Gefühl, daß auf dieser malerischen Auffassung die Daseinsberechtigung des modernen handgeschriebenen Buchs überhaupt beruht. Soviel mir bekannt, kommt Doris Homann aus der Schule Jaeckels. Das spürt man auch. Die Kalligraphie, die reine Schreibkunst, sucht nach ästhetischen Effekten für sich, meist ohne Rücksicht auf den Inhalt. Die malerische Schriftkunst strebt darüber hinaus, für sie ist nicht die Type das Hauptsächliche, sondern die Komposition der Zeichen zu einem geschlossenen Bild, das organisch aus dem Wortsinn des Textes erwächst.
Bei Doris Homann hat sich, allgemein gesprochen, eine Schrifttype herausgebildet, die man ihrer Biegung nach am ehesten als Kursiv-Unziale bezeichnen kann, jedoch als eine Unziale besonderer Prägung, die nichts mit den Majuskeln der älteren Handschriften zu tun hat. In dieser Schriftart sind am reinsten ihr bisher umfangreichstes Werk, die "Judith", ferner der "Baal zu Babel" und der "Drache zu Babel" gehalten. Sie hat aber auch, das war selbstverständlich, hie und da die Farbe zu Hilfe genommen, um durch die farbige Untermalung die schwarzen Schriftzeichen stärker herauszuheben. So entstanden Blätter von tiefgreifender Wucht wie in Rimbauds "Bateau ivre" (im Urtext geschrieben) oder von zartestem Schmelz wie in der "Bergpredigt". Nur in Schwarz, aber von einem hinreißenden Duktus der Schrift, sind die "Declaration of Independance" der Vereinigten Staaten und Dantons Verteidigungsrede vor dem Konvent abgefaßt, ebenso, wenn auch in ganz anderem Stil, die "Schöpfungsgeschichte der Bibel". Gerade aus dieser Arbeit ergibt sich, wie ungeheuer die Schrift den Textsinn zu steigern vermag. An der Stelle "Es werde Licht" schwillt die Schrift machtvoll strömend an, um in dem Worte "Licht" das fast allein die Seite füllt, gleichsam im Anhauch göttlichen Odems befreienden Ausklang zu finden. In Büchners "Pamphlet" vermeint man die großen bewegten Buchstaben rufen zu hören: "Friede den Hütten, Krieg den Palästen!" - so außerordentlich lebendig erscheinen sie in ihrer Form - und in Whitmans "Gesang an Amerika" hat die Künstlerin das gesunde Pathos des Amerikaners, seinen weiten Atem, seine Sprachlust, man möchte fast sagen graphisch darzustellen versucht. Im Gegensatz dazu steht der früher entstandene "Hiob", über dessen starr linearer Schrift eine Fülle, eine zu große Fülle von Ornamenten verstreut ist.
Alles in allem: die Homannschen Schriftwerke bedeuten sicher eine Revolution auf ihrem Gebiet - und ebenso sicher eine Renaissance des handgeschriebenen Buchs, die man in ihrer Eigenart und Unabhängigkeit vom Hergebrachten freudig begrüßen kann.
F. v. Z.
Aus: Zeitschrift für Bücherfreunde. N.F. 16. 1924 (Heft 6. Nov.-Dez.)
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